Von der Raupe zum Schmetterling
Nachhaltigkeits- und Achtsamkeitserziehung im Kindergarten
Jedes Jahr begrüßen wir den Frühling mit unserer Maiwanderung. Wir wandern über die Felder und Wiesen rund um unseren Kindergarten. Wir spielen am Bach, pflücken goldgelbe Blumensträuße und picknicken am Weiher. Neben der Freude und dem Erleben des Frühlingserwachens sind wir auch auf der Suche. Sobald wir einen Brennnesselbusch entdecken, halten alle inne und beginnen zu suchen.
Wir suchen nach kleinen, schwarzen Raupen, die Brennnesseln zum Fressen gernhaben.
Diese Raupen sind die Kinder der ersten Schmetterlinge, den kleinen Füchsen und Tagpfauenaugen, die im Frühjahr ihren Hochzeitstanz vollführt haben.
Behutsam werden die Zweige geschnitten und in einem Körbchen mit in den Kindergarten genommen. Dort haben wir ein eigenes Raupenhaus.
Schön geschmückt steht es auf dem Jahreszeitentisch. Darin steht ein Strauß mit Brennnesseln, auf dem es nun nur so wimmelt. Am Morgen laufen die Kinder gleich zu unserem Raupenhaus. Sie staunen, wie schnell die kleinen Raupen die saftigen Blätter auffressen und wieviel Kacka über Nacht entstanden ist. Je nach Temperament beobachten sie das Wachstum und die Bewegungen unserer Gäste. Manch einer könnte den ganzen Morgen durch die Scheibe zuschauen. Andere kriechen fast hinein und springen zurück ins Spielgeschehen.Die Kinder nehmen auf ihre Art wahr, wie sich die Raupen entwickeln, wie sie wachsen, sich häuten.
Und plötzlich passiert etwas Neues. Wie verabredet, kriechen alle Raupen an die Decke ihres Häuschens. Sie hängen sich kopfüber auf und beginnen sich einzuspinnen. Zum Schluss werfen sie ihren Raupenkopf ab und hängen, Seite an Seite, in goldgelben Kokons.
Nun beginnt die Zeit des Wartens.
Wir beobachten, wie sich die goldenen Kokons immer dunkler färben. Langsam beginnt das Farbenspiel des werdenden Schmetterlings hindurch zu schimmern.
Täglich fragen die Kinder:“ Ist es endlich soweit?“
Um die Zeit des Wartens zu begleiten, erzählen wir Schmetterlingsgeschichten, Fingerspiele, singen Lieder darüber oder schlüpfen selbst im Reigenspiel in die Rolle eines Schmetterlings.
Die Kinder basteln sich kleine Schmetterlinge aus Märchenwolle und tragen sie stolz nach Hause.
Nach langer Zeit des Wartens tut sich etwas im Schlafstübchen. Ein erster Kokon beginnt sich zu bewegen.
„Die Schmetterlinge wachen auf!“
Nun kommt Bewegung in das Schmetterlingshaus und in die Kinder. Mit welcher Freude und Spannung sie das Schlüpfen verfolgen. In dem Moment, in dem ein Kokon aufbricht und sich der Schmetterling zeigt, erfüllt sich unser Sehnen mit Glück und Dankbarkeit.
Noch hängen die Schmetterlingsgeschwister knitterig und erschöpft bei einander.
Doch so nach und nach zeigen sie ihre Flügel und ihre Farbenpracht.
Wenn sie etwas munterer sind, gehen wir mit den Kindern nach draußen. Ganz still und leise sitzen sie beieinander und warten geduldig.
Wir öffnen den Käfig und nacheinander dürfen die Kinder zum Schmetterlingshaus kommen. Ein jedes bekommt einen Schmetterling auf die Hand. Manch einer fliegt gleich in die Welt, ein anderer bleibt noch sitzen, zeigt seine Flügel oder spaziert auf dem Arm eines Kindes.
Und plötzlich, erhebt er sich und fliegt davon. „Gute Reise!“ rufen die Kinder und winken ihm hinterher. Viele können wir an diesem Tage noch beobachten, wie sie sich an unserem Schmetterlingsflieder oder dem Rosenbogen mit einem ersten Frühstück stärken.
Wenn im Sommer die Schmetterlinge in unserem Garten oder unsere Bienenwiese fliegen, sind sich die Kinder freudig sicher, „Das ist einer von uns!“
Diese Begegnung mit den Schmetterlingen wirkt so tief in die Kinder hinein. Sie arbeitet an den Andachtskräften der Kinder, berührt sie.
Und für uns ist es die Grundlage für eine kindgerechte Nachhaltigkeitserziehung. Die Liebe zur Natur, das Staunen und BE-greifen ihrer Zusammenhänge und Prozesse, das liebevolle Bewundern ihrer Schönheit. Nur so können wir mit unserer nächsten Generation arbeiten, damit sie schätzen und schützen lernt.
